Konso: Jatropha, Schulen und der Kindergarten


Als ich im Januar 2011 vom Konso-Besuch wieder in Deutschland angekommen bin, war ich keineswegs sicher, ob es sinnvoll ist, dort in Zukunft Hilfe nach meinen Vorstellungen leisten zu können. Zu sehr  bin ich mit persönlichen Interessen und Wünschen konfrontiert worden. Angesichts einer ausgeprägten Mangelwirtschaft (auch Geldmangel!) sind Wünsche zwar in Form von Gastgeschenken sinnvoll und möglich, insgesamt bringen sie dem Land aber keinerlei Fortschritt.
Im nachfolgenden Briefwechsel habe ich deshalb klarstellen müssen, dass ich nicht nach Äthiopien komme, um Geschenke zu verteilen. Durch Geschenke wird die Eigeninitiative gelähmt. Es wird kein Anreiz geschaffen, darüber nachzudenken wie man die eigene Lage selbst verbessern kann. Schuld an diesem Verhalten sind nicht zuletzt die Touristen, die oft wahllos Geschenke verteilen, auch wenn es gut gemeint ist.
Ich will gerade das Gegenteil erreichen: Jeder , der eine Leistung vollbringt, soll dafür einen angemessenen Lohn erhalten.
Deshalb die Idee von einem Sportwettkampf an einer Schule.
Deshalb die Idee von der Nutzung von Jatropha, damit Familien ein (bescheidenes) Einkommen erlangen können.
Zwischenzeitlich haben Jutta und Reinhard auf ihrer gemeinsamen Geburtstagsfeier Geld bekommen, welches sie mir in einem Brief mit der Aufschrift "Für Schule in Äthiopien" übergeben haben.
Damit war ein Grund gegeben, eine weitere Reise nach Konso zu unternehmen, zumal ich eine organisierte Tour durch die Wüste Danakil im Norden Äthiopiens bereits gebucht hatte und sich eine Verlängerung der Reise in den Süden anbot.
Da ich nicht sicher war, ob in Konso genügend Jatropha-Samen während meines Aufenthaltes zu bekommen sind, habe ich je 1000 Samen in Belize und Indien bestellt. Die Samen aus Belize habe ich rechtzeitig erhalten und mit nach Konso genommen, während die Lieferung aus Indien im Zollamt Jena zurückgehalten wurde.
Auf dem Flug von Frankfurt nach Addis Abeba lese ich im Handelsblatt die folgende Meldung, die mir gerade recht kommt (Ist das nicht ein Zufall?) :

Biosprit: Lufthansa fliegt mit Pflanzenöl und Schlachtabfällen
"Die Lufthansa füllt neuerdings Biosprit in einen Airbus A321 auf der Strecke Frankfurt - Hamburg. Der Treibstoff basiert auf der tropischen Energiepflanze Jatropha sowie auf Schlachtabfällen. Das Gemisch wird normal betankt und kann in einer gewöhnlichen Turbine problemlos verbrannt werden." 

 


 

November 2011 

Ich bin von der Danakil wieder zurück in Addis Abeba, um von hier aus nach Konso zu fahren. 

 

Die von meinem Zimmer im Hotel "International"  sichtbaren Wellblechhütten werden sicher in der nahen Zukunft verschwinden. In Addis Abeba wird  überall gebaut. Wohnungen, Geschäfte, Banken, Hotels und neue Straßen.
Die elektrische Anlage des Hotels bedarf dringend einer Sanierung. Beim betätigen der Lichtschalter höre ich ungewöhnliche Geräusche, aber das Zimmer bleibt dunkel. Gut, dass ich eine Stirnlampe dabei habe.
Am Vormittag gehe ich einkaufen, zuerst in eine Apotheke, um mit der von Ursula auf der Danakil-Tour erhaltenen Spende Medikamente und

Verbandsmaterial für eine Krankenstation zu kaufen. Anschließend fahre ich mit Santi, meinem Fahrer, zu einem Buchladen in einem neu erbauten Einkaufszentrum, um Bücher für Schulen in Konso zu kaufen.
Vor der Abfahrt von Addis Abeba bekomme ich noch von einem guten Bekannten den Rat, gleich nach der Ankunft in Konso die örtliche Administration aufzusuchen, um mein Anliegen vorzutragen und eine Erlaubnis zu erhalten. Ich habe damit kein Problem, weil ich selbst nichts machen möchte, sondern den Menschen in Konso nur Anregungen geben möchte. Außerdem äußert er, dass es sehr viel Bürokratie gibt und es sehr schwer ist, etwas zu verändern.


Wir fahren quer durch die Stadt in Richtung Westen. Überall wird gebaut, es entstehen zahlreiche neue Wohnsiedlungen. Fast am Stadtrand angekommen, zeigt mir Santi das Wohnhaus, in dem er zusammen mit seiner Frau und dem einjährigen Sohn in einer Zweizimmerwohnung wohnt.
Auf einer breiten, asphaltierten Straße fahren wir in Richtung Sodo. Nach etwa 50km überqueren wir den Awash Fluss, und kurz danach habe ich die Möglichkeit, die prähistorische Ausgrabungsstätte Melka Konture zu besichtigen. Museum und Ausgrabungsstätte sind sehr interessant und für diejenigen, welche diese Route in Richtung Sodo wählen, unbedingt zu empfehlen.
Wenige Kilometer weiter halten wir bei den Stelen von Tiya, die laut Reiseführer zwischen dem 12. und 14.Jh. errichtet wurden. Der Ort ist empfehlenswert, mein penetrant aufdringlicher Museumsbegleiter jedoch nicht.

In Sodo übernachte ich im gleichen Hotel wie im Januar. Es ist nur noch ein Zimmer frei. Das noch recht neue Hotel weist schon eine Reihe von Mängeln auf. Warmwasser ist nicht verfügbar, weil das Elektrokabel des Boilers abgeschnitten ist. Die Zimmerbeleuchtung ist auch defekt, so dass ich wieder die Stirnlampe benutzen muss.
Die Fahrt nach Konso ist vom Wetter her sehr angenehm. Es hat in der Nacht geregnet, und die Luft ist fast staubfrei. Auf den üppig grünen Feldern neben der Straße sehe ich viele Menschen bei der Feldarbeit.
Um die Mittagszeit erreichen wir die Kanta Lodge in Karat-Konso. Die Lodge ist fast fertig. Die Wege sind mit Steinplatten befestigt, und es wurden Bäume und viele Blumen gepflanzt.
Am Nachmittag treffe ich Dinote. Er sagt gleich zu Beginn, dass es in der Maderya-Schule Probleme gegeben hat. Meinen Brief hat er persönlich dem Direktor zustellen lassen. Das klingt alles sehr kryptisch. Ich frage aber nicht weiter nach. Später habe ich mich selbst überzeugen können, dass jeder, der die Poststelle betreten kann, Absender und Adresse auf Briefen und Postkarten lesen kann und, wenn es angebracht erscheint, die Post "persönlich weiterleiten" oder auch nicht weiterleiten kann.
Ich gebe Dinote die Bilder von meinem letzten Besuch, über die er sich riesig freut. Dann besprechen wir das Programm. Zuerst zum Woreda Chief Administrator, dann zum Markt. Der Chief Administrator ist gerade in einer Besprechung, deshalb fahren wir gleich zum Markt. Der zweite Versuch, den Chief Administrator zu erreichen, ist erneut erfolglos.
Abendessen im Licht von zwei Petroleumlampen, da Stromausfall. Der dritte Versuch, den Chief Administrator zu erreichen, gelingt am folgenden Vormittag.  Dinote spricht mit dem Chief Administrator amharisch, so dass ich bis auf die Worte Jatropha, Euro und Lufthansa nichts verstehe. Nach einer gefühlten Stunde sagt  Dinote zu mir auf englisch, dass er  dies und jenes über den Anbau und die Verwendung von Jatropha gesagt hat.
Schließlich schreibt der Chief Administrator die Namen von 5 Schulen auf ein Blatt Papier, die er für das Jatropha-Projekt ausgewählt hat. Es ist eine gute Entscheidung, zunächst in Schulen damit zu beginnen, weil Lehrer und Schüler eher bereit sind, etwas Neues zu wagen als Bauern.

Schulgarten in Gersale

Gocha Primary School

Schulgarten der Sorobo Elementary School

Debona Junior School

Der Katable Pond

 

Zuerst fahren wir zur Konso Primary School, die sich direkt neben der Woreda-Verwaltung befindet. Obwohl wir unangemeldet kommen, nehmen sich der Direktor und ein Lehrer lange für uns Zeit, hören Dinote aufmerksam zu, schreiben einiges auf, stellen Fragen.
Wir fahren weiter zum Basic Education Center  Gersale. Aisha, die Direktorin, hört sich die Rede von Dinote ebenfalls sehr aufmerksam an. Danach treffen wir uns im Schulgarten, der von einer Jatropha-Hecke umgeben ist. Da sowohl Aisha als auch die Lehrer in weißen Kitteln zu der Vorführung erscheinen, hat das Treffen irgendwie etwas feierliches.
Unser nächstes Ziel ist die Gocha Primary School, wo neben dem Direktor sieben Lehrer dem Vortrag zuhören. Auch sie sind sehr interessiert und stellen viele Fragen, z.B. auch zur Giftigkeit von Jatropha. 
Dinote hält die Vorträge so routiniert, als habe er in seinem bisherigen Leben nur über Jatropha referiert. Hin und wieder kommt mir der Gedanke, dass eine gute Rede auch entsprechend lang sein muss.
Das erstaunlichste ist aber, dass in allen fünf besuchten Schulen die Lehrer sich für den Vortrag Zeit genommen  und sehr aufmerksam zugehört haben, obwohl wir unseren Besuch nicht angekündigt haben.
Alle Schulen haben einen Schulgarten.
Im Schulgarten der Sorobo Elementary School sehen wir bei der Ankunft Schülerinnen, die mit moderner Hacke und Spaten sowie mit der traditionellen zweizinkigen Holzhacke Pflanzlöcher graben.
Die Debona Junior School liegt abseits der Hauptstraßen und ist nur mit einem geländegängigem Fahrzeug zu erreichen. Durch den Regen der letzten Tage ist die Landschaft üppig grün, die Oberfläche der Piste zum Glück trocken. Auf dem Sportplatz neben der Schule machen vielleicht 50 bis 60 Schüler Turnübungen.
Im Büro des Direktors hält Dinote den Jatropha-Vortrag vor fünf Lehrern, die alle gebannt zuhören. Da sie spontan gekommen sind und nicht alle Papier zum schreiben bei sich haben, notieren sie wichtige Dinge auf der Handinnenfläche.
Ich habe in den fünf Schulen die 1000 Jatropha-Samen und je eine Anleitung gegeben und hoffe, dass möglichst viele Samen keimen.
Der Konso Primary School und der Debona Junior School habe ich einen Regenmesser sowie vorbereitete Tabellen für die Aufzeichnung der Daten gegeben. Ich denke, dass es interessant ist zu wissen, an welchem Ort wann vieviel Regen fällt. In Konso gibt es jährlich zwei Regenzeiten, die sich aber hinsichtlich Termin und Intensität in den letzten Jahren verändert haben. Das erschwert, bisher übliche Termine für die Aussaat zu nutzen. Oft fallen die Niederschläge nur in einem scharf begrenztem Gebiet. Generell herrscht in der Trockenzeit ein Regendefizit, das aber zum Teil durch Wasserspeicher ausgeglichen werden kann. Zu diesem Zweck wurden an verschiedenen Stellen größere Teiche (Ponds) künstlich angelegt. Der auf dem nebenstehenden Bild abgebildete Katable Pond ist nach der Regenzeit gut gefüllt. Das Wasser wird sowohl als Viehtränke als auch als Brauch- und Trinkwasser(!) für Familien der benachbarten Dörfer genutzt
Wir fahren zum Kindergarten, in den zur Zeit  etwa 150 Kinder gehen. Für die älteren gibt es eine Art Vorschulunterricht. Der Raum wirkt von innen luftig und hell. Dinote erklärt mir, dass die Wände noch mit Lehm verschmiert werden.
Dann wird es hier genauso dunkel wie im benachbarten Raum, wende ich ein.
Die Kinder sitzen auf dem staubigen Boden oder auf Steinen.

 Dinote hat mich zum Abendessen eingeladen. Ich weiß, dass dies eine besondere Ehre für mich ist. Aber ich habe wieder dieses eigenartige Gefühl von Ungerechtigkeit. Ungerechtigkeit gegenüber den Frauen seiner Familie. Sie haben wieder ein aufwändiges Essen  für einen Gast bereitet, nehmen aber selbst nicht teil. Nur Dinote, ich und etwas später Obama, der jüngste Sohn. Ich spüre, dass Obama großen Hunger hat und kann ihm die seltene Gelegenheit bieten, Fleisch zu essen.
Der Tisch ist nur schwach beleuchtet. Ich kann aber sehen, dass sich noch mehrere Personen in der Nähe aufhalten. Ich weiß nicht, ob sie auch zur Familie gehören. Es wird niemand vorgestellt.
Es ist geheimnisvoll. Nach dem Essen überreiche ich die Gastgeschenke, und ich unterhalte mich mit Dinote über Jatropha. Dann Verabschiedung.
Dinote begleitet mich den unbeleuchteten und steinigen Weg bis zu der Stelle, an der Santi auf mich wartet. Während wir gehen spricht Dinote leise und afrikanisch geheimnisvoll zu mir, dass uns heute auf der Fahrt zu einer Schule der Vieze-Administrator begleitet hat und dies ja gewissermaßen eine besondere Wertschätzung ist und . . .  Ich habe begriffen und frage "wie viel?".  "200 Birr". Gut, das geht. "Ja, und die Tourismus-Verwaltung" fährt er geheimnisvoll fort, obwohl ich ja kein richtiger Tourist sei. "Wieviel?" "110 Birr".
Unabdingbare Nebenausgaben.
Santi fährt mich in die Lodge. Ein Gewitter zieht auf, und es beginnt zu regnen, nicht zu heftig, ganz gleichmäßig.

Wir fahren nach Gersale, um in der Schule die Geschenke abzugeben. Als wir ankommen, ist es ungewöhnlich still auf dem Schulgelände. Ein Wachmann erklärt uns, dass heute keine Schule ist, da alle Lehrer zu einem Meeting sind. Wir fahren zurück nach Karat zur Primary School, können aber den letzten Anstieg mit dem Auto nicht bewältigen, weil die Zufahrt total aufgeweicht ist. Also gehen wir das letzte Stück zu Fuß, mit schweren Lehmklumpen an den Schuhen. Auch hier sind alle Lehrer beim Meeting, nur der Direktor ist da.

Ich lege die in Addis Abeba gekauften Schulbücher, Hefte, Stifte, Fußbälle und einige Pylonen auf den Tisch im Zimmer des Direktors und mache einige Fotos für die Sponsoren.
Einige Lehrer kommen vom Meeting zurück.
Ich nutze die willkommene Gelegenheit und bitte alle Lehrer, zum Sportplatz zu gehen. Dort erkläre ich die Übung "Slalom-Dribbling" und den Gebrauch der Stoppuhr.
Einige Schüler schauen sich das Spektakel aus respektvoller Entfernung an.

Sowohl Lehrer als auch Schüler scheinen ihren Spaß zu haben. Und wer beginnt mit der Übung?

Eine Lehrerin

Nach der kleinen sportlichen Einlage in der Konso Primary School fahren wir zum Machalo Village  Health Center, um die von Ursula gesponserten Medikamente, Desinfektionsmittel und Verbandsmaterialien abzugeben. Am Ortseingang steht eine von UNICEF finanzierte öffentliche Latrine, die aber von der Bevölkerung nicht genutzt wird. Im Inneren wachsen große Opuntien. Wir gehen zu Fuß  zum Health Center. Die dort beschäftigten zwei Frauen freuen sich riesig über die Spende. Ich hatte nach meinem Empfinden und nach Verfügbarkeit in einer Apotheke in Addis Abeba eingekauft, ohne den Bedarf zu kennen. Aber genau die gekauften Dinge brauchen sie.

Antimalariamittel werden dringend gebraucht, weil Malaria, insbesondere bei Kindern, mit das größte Problem ist.
Ich habe die beiden gebeten, eine Wunschliste zu schreiben, damit wir für den nächsten Besuch noch gezielter einkaufen können.
Eine der beiden Frauen hat eine einjährige Ausbildung an einer medizinischen Schule absolviert und sorgt für die medizinische Betreuung der etwa 4000 Bewohner von Machalo.

In der Nacht zieht ein Gewitter auf, und es beginnt heftig zu regnen. Santi kommt um 8 Uhr mit dem Auto und wir beschließen, am Vormittag nicht zu fahren, da der Regen nicht nachlässt. Alle nicht befestigten Wege sind total aufgeweicht und schlammig. Ich möchte noch die Geschenke für die Schule in Gersale und den Kindergarten verteilen, aber das ist bei diesem Wetter nicht möglich. Ich hätte es geschafft, wenn nicht dieser Meeting-Tag gewesen wäre.
Es regnet ununterbrochen, und der Strom ist auch weg. Es ist ein richtiger verregneter Novembertag, wie in Europa, nur etwa 20 Grad wärmer.

Am Nachmittag gehe ich mit Dinote durch das Dorf, in dem er wohnt. Nicht weit von seinem Haus befindet sich das Büro der Schulverwaltung. Wir stellen die Geschenke für die Schule und den Kindergarten neben dem Gebäude ab. Der Chef der Verwaltung listet jedes Buch und jedes Heft penibel auf, auch für wen es bestimmt ist. Dann fragt er, ob er für das Foto noch die Flagge aufziehen soll, was ich verneine. Trotz des Regenwetters ist es noch ein erfolgreicher Tag geworden.

Die von dem Geld der Sponsoren gekauften Geschenke sind zu 100% am Ziel angekommen, und Dinote hat einen großen Anteil daran.

Am Nachmittag hat der Regen aufgehört, und der Himmel klart auf.  Für kurze Zeit erstrahlt die Landschaft von Konso in einem paradiesischem Licht, und ich habe eine neue Idee . . .