Konso: Museum, Märkte und eine Mumie

Januar 2011

Ich fahre mit Yohannes und Dinote in einem Landcruiser von Addis Abeba über Jimma, Sodo und Arba Minch nach Konso. Yohannes ist Fahrer bei Roots Travel. Dinote kenne ich von unserem Aufenthalt 2009 in Konso. Er spricht sehr gut englisch und ist ein hervorragender Kenner der Kultur der Konso. Ich hoffe, dass er mich bei möglichen Hilfsprojekten, z.B. in Schulen, unterstützen kann. Im Hotel in Jimma besprechen wir das Programm der nächsten Tage.

 Die Piste von Jimma nach Sodo führt nur durch wenige Siedlungen. Die Strecke ist kurvenreich, und es geht ständig bergauf und bergab. Ein Höhepunkt ist die Überquerung des Omo.
Der Omo hat sich tief in das Gebirge eingefressen und führt auch in der Trockenzeit Wasser. Er erreicht allerdings - ebenso wie der Awash im Norden Äthiopiens - kein Meer, sondern endet im salzigen Turkanasee in Kenia.
Am späten Nachmittag erreichen wir Sodo, die Hauptstadt des Stammes der Wolayta. In der Stadt wird viel gebaut, und es herrscht reger Verkehr. Nach langem Suchen habe ich in einem Hinterhof ein Internet-Cafe gefunden, in dem ich nach mehreren Versuchen eine E-Mail abschicken kann. Das von Dinote für mich ausgesuchte, und auch im Reiseführer empfohlene Bekele Mola Hotel, ist sehr bescheiden. Zum Abendessen treffen wir uns in einem neuen, sehr nobel aussehenden Restaurant an der Hauptstraße, das man durchaus empfehlen kann. Die Fahrt von

Sodo nach Arba Minch erfordert vom Fahrer besonders hohe Aufmerksamkeit. Die Straße ist nicht nur eine der Hauptstrecken in den Süden mit starkem Fahrzeugverkehr, sondern sie wird auch von zahlreichen Rinder- und Ziegenherden benutzt. Nur einheimischen Fahrern kann es gelingen, ohne Beschädigung von Fahrzeug und Tieren einer entgegen kommenden Herde auszuweichen oder, was noch schwieriger ist, diese zu überholen. Je nach Tageszeit kann die etwa 100 km lange Strecke mehrere Stunden in Anspruch nehmen. Die Fahrer nehmen dies gelassen hin. Passagiere müssen den Fahrkünsten der Fahrer vertrauen und eine nicht den europäischen Verkehrsverhältnissen entsprechende Fahrzeit akzeptieren. In Konso fahren wir zuerst zur Kanta Lodge, wo ich übernachte. Das Gebäude mit dem  

Restaurant ist fast fertig, die meisten Rundhütten ebenfalls. Da wir nach der Ankunft noch Zeit haben, fahren wir auf den Markt nach Dokato und anschließend nach Karat. Auf beiden Märkten herrscht ein archaisches Treiben. Die meisten Waren, überwiegend landwirtschaftliche Produkte und Kleidung, werden auf dem Boden sitzend angeboten. Natürlich ist der Aufenthalt auf dem Markt auch die Gelegenheit zu kommunizieren, für die meisten sicher die einzige. Nicht nur zu diesem Zweck gibt es auf den Märkten einen, meist überdachten Bereich, wo bei einem nach lokaler Brautradition gebrautem Bier (chagga) die Probleme der Welt lautstark diskutiert werden. Auch auf den Märkten in Konso ist Dinote bekannt, und er wird von vielen begrüßt. Ich versuche, ihm immer dicht zu folgen, um ihn in dem Getümmel nicht aus den Augen zu verlieren. Dabei muss man auch sehr konzentriert Schritt für Schritt gehen, um nicht auf die ausgebreiteten Waren zu treten. Im Gegensatz zu einer Touristengruppe werde ich als einzelner Weißer beim Parcours über den Markt nicht mit Kaufangeboten überhäuft.

 

Die Fleischabteilung ist ebenso wie der Chagga-Bereich etwas abgetrennt vom übrigen Markt am Rande angesiedelt und besteht aus mehreren Ständen, an denen das Fleisch in einer für uns eher ungewöhnlichen Form verkauft wird. Es ist teuer und nicht Bestandteil der täglichen Nahrung. Rohes Fleisch wird nur zu besonderen Anlässen gegessen. Dinote kauft an einem der Stände Fleisch, das ich am Abend auf dem Teller serviert bekomme, denn ich bin zum Abendessen eingeladen.
Am Rande des Marktes liegen viele Holzbündel. Das Brennholz wird ausschließlich von Frauen gesammelt und nach Hause getragen. Ich hebe einige Bündel an und schätze, dass sie 30 bis 40kg wiegen. Getragen werden sie auf dem Rücken, gehalten nur von einer dünnen Schnur. Das Tragen der Holzbündel ist natürlich nicht gesundheitsförderlich, aber eben Tradition, und deshalb nur sehr schwer zu ändern.  Gibt es Alternativen? Mir fällt im Moment nichts ein, aber man sollte doch darüber etwas nachdenken.
Wir fahren in die Maderya Elementary School, wo wir schon 2009 waren. Auf dem Schulgelände ist es außergewöhnlich still. Wir treffen nur einzelne Kinder an. Es sind Ferien. Nach wenigen Minuten kommt der Direktor, und ich gebe ihm im sehr einfachen Bürogebäude einige Geschenke: Einen Fußball, einen Globus, Stifte und Schreibhefte. Ich verspreche ihm, dass ich bei meinem nächsten Besuch im Herbst einen Sportwettkampf in der Schule durchführen und die sportlichen Leistungen belohnen möchte.  In einem sportlichen Land wie Äthiopien sollte solch ein Sportwettkampf kein großes Problem sein. Ein großer Sportplatz ist neben der Schule vorhanden.
Wir machen noch einige Fotos, verabschieden uns und fahren zurück nach Karat in das neue Museum, direkt oberhalb der Kanta Lodge.
Ich bin der einzige Besucher und habe genügend Zeit, mich umfassend über Kultur und Lebensweise der Konso zu informieren. Unterstützung erhalte ich von Dinotes zusätzlichen Erklärungen. Ich erfahre z.B., dass
- etwa 200000 Menschen zu den Konso gehören,
- es 9 Clans mit je einem Oberhaupt (poqalla) gibt,
- Konso bis 1890 eine autonome Region war und erst danach zum Äthiopischen Reich gehörte,
- die Konso eine eigene Sprache sprechen, die zur ostkuschitischen Sprachgruppe gehört,
- dass die meisten Konso in stadtähnlichen Siedlungen mit mehreren tausend Bewohnern wohnen,
- viele dieser Siedlungen von bis zu 2m hohen Steinwällen umgeben sind,
- es in den Siedlungen eingezäunte private Gelände  und öffentliche Plätze (mora) gibt
sowie viele weitere interessante Informationen über die Kultur der Konso.
Im Museum gibt es eine große Sammlung von hölzernen Kultfiguren (waka). Es handelt sich dabei um gestohlene Figuren, die  für das Museum vom Schwarzmarkt, oft aus dem Ausland, zurückgekauft wurden aber keinerlei spirituellen Wert mehr besitzen. Nur die an der ursprünglich vorgesehenen Stelle, z.B. an Gräbern wichtiger Personen, aufgestellten Wakas haben einen spirituellen Wert.
Dinote hat ein Treffen mit Kalla Gezahegne organisiert. Da dieser aber noch unterwegs ist, machen wir einen Spaziergang zu den Gräbern seines Vaters und Großvaters. Natürlich sind auf beiden Gräbern Wakas.
Der Kalla lebt mit seiner Familie völlig isoliert, außerhalb einer Siedlung. Dies erleichtert es ihm, bei Streitigkeiten in seinem Clan als neutrale Autorität zu schlichten.
Das Gespräch mit dem Kalla verläuft dann sehr locker. Ich  unterbreite ihm meine Vorstellungen über Hilfsmöglichkeiten, und er sagt, woran es in Konso besonders mangelt. Er ist eigentlich ein moderner Mensch, zwar der Tradition seines Clans verpflichtet, aber interessiert sich auch für neue Entwicklungen wie z.B. Nutzung der Solarenergie, von Computern und Internet.

Nicht weit entfernt von der Hauptstraße in Karat zeigt mir Dinote den Kindergarten, der auf einem großen Plateau gebaut wurde aber noch nicht fertig ist. Er benutzt auch das Wort "Kindergarten", das sich erstaunlicherweise auf der ganzen Welt für die Bezeichnung dieser  Einrichtungen durchgesetzt hat. Ich erkläre ihm, dass keine 10km von meinem Wohnort entfernt der erste Kindergarten vor mehr als 170 Jahren errichtet wurde. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, den Kindergarten zu unterstützen?

 Es fällt sofort auf, dass sich die glatte Fläche des Wellblechdaches gut zum Auffangen von Regenwasser eignet, aber keine Dachrinne vorhanden ist. Dinote erklärt mir, dass zwei benachbarte Orte das Gebäude in der Form gebaut haben, für eine zusätzliche Ausstattung aber kein Geld vorhanden ist. Jedem ist aber bekannt, dass es sinnvoll ist, in trockenen Gebieten wie in Konso während der Regenzeit Wasser zu speichern. Wäre das nicht eine Möglichkeit zu helfen?

 Es ist aber jetzt nicht die Zeit, mit Dinote darüber zu sprechen. Seit wir von Addis Abeba losgefahren sind, hat er schon mehrfach von "Mummy" gesprochen. Es handelt sich dabei um die Mumie eines verstorbenen Clan-Chiefs. Nach traditioneller Auffassung der Einheimischen ist er aber noch nicht tot, sondern nur krank. Dinote hat großes Interesse daran, ihn zu besuchen, da er am folgenden Tag für tot erklärt und mit einer großen Zeremonie beigesetzt wird. Es ist die letzte Gelegenheit, ihn noch "lebend" zu sehen. Wir machen uns also auf den Weg in das entlegene Dorf. Es ist eine der spektakulärsten Fahrten, die ich bisher in einem Auto gemacht habe, und ich weiß nicht wie Yohannes, unserem Fahrer, dabei zumute ist. Er ist ein sehr guter Fahrer und bringt uns unversehrt in das Dorf (und auch wieder zurück). Es ist eine der traditionellen, sehr dicht bevölkerten Siedlungen. Dinote bittet mich, vor einer Rundhütte Platz zu nehmen. Immer mehr Bewohner kommen, setzen sich ebenfalls. Ich weiß nicht, was jetzt passiert. Dann hält Dinote eine seiner typischen Reden, eindringlich, die Worte sehr schnell gesprochen. Ich erahne die Wichtigkeit seiner Ausführungen, auch wenn ich kein Wort verstehe. Alle hören schweigend zu.
Es ist um die Mittagszeit, und die Sonne brennt fast senkrecht vom Himmel. Ich sitze in der Sonne und weiß nicht wie lange Dinote noch redet. Er redet scheinbar endlos. Die Kinder und Jugendliche, die mich noch am Anfang wie einen Außerirdischen angestarrt haben, verlassen nach und nach das Gelände. Noch bevor ich einen Sonnenstich bekomme oder verdurste oder vor Neugier sterbe, weil ich nicht weiß, worum es in der Ansprache geht, kommt Dinote zum Ende seiner Ausführungen. Während wir uns nun auf den Weg zu "Mummy" machen, frage ich Dinote, was er gesagt hat. Mit kurzen Worten: Es geht um die Erhaltung der Kultur der Konso.  Die am folgenden Tag  stattfindende "Beisetzung" des Clanchefs wird für lange Zeit das letzte derartige Ritual sein und viele werden dies nicht noch einmal erleben.

Wir gehen zu "Mummy", und ich werde gebeten, ihn zu fotografieren.  Es ist schon eine feierliche Stimmung  und  eine Ehre, einen noch lebenden (aber kranken) Clan-Chief am letzten Tag  mit lebenden Clan-Mitgliedern fotografieren zu dürfen.
Erst viel später habe ich die Bedeutung dieses Tages erkannt.
Nach dem Fototermin bei "Mummy" hat mich ein älteres Ehepaar gebeten, sie zu fotografieren. Das habe ich natürlich  gern gemacht.
Ich habe allen Personen, die ich bisher in Konso fotografieren durfte, beim nächsten Besuch die Bilder gegeben. In diesem Fall war es bisher (2016) nicht möglich, dieses Dorf nochmal aufzusuchen.
 

 

 Bei der abenteuerlichen Fahrt zurück, diesmal über felsiges Gelände sehr langsam bergauf, habe ich etwas gesehen und Yohannes gebeten anzuhalten.

Jatropha curcas

Das ist eigentlich nichts Besonderes, da diese Pflanze in vielen tropischen Ländern als Hecke verwendet wird, so auch in Äthiopien. Aber hier ist etwas Besonderes: Die Pflanze trägt Früchte. Die Früchte enthalten Samen, und die Samen enthalten Öl. Ich pflücke eine Frucht, zeige Dinote die Samen und frage ihn, ob er dies kennt. Er kennt zwar die Pflanze, die in Konso als Hecke verwendet wird, aber nicht die Samen. Das liegt daran, dass die Jatropha-Pflanze zurückgeschnitten wird, bevor sie blüht. Allerdings ist bekannt, dass die Pflanze giftig ist.
Dinote interessiert sich an diesem Tag natürlich eher für "Mummy" als für Jatropha. 
Ich habe mich vor der Reise ausführlich mit Jatropha-Anbau in Afrika beschäftigt und die wichtigsten Fakten zusammengestellt und ausgedruckt.

Bevor ich nach Addis Abeba zurück gefahren bin, habe ich die Informationen über den Anbau und die Nutzung von Jatropha Dinote gegeben.

In der Hoffnung, später zeigen zu können, dass daraus ein wertvolles Öl gewonnen werden kann.